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Bericht zum Polizeieinsatz bei der Demonstration am 28.12.11 in der Potsdamer Innenstadt

Von Redaktion | 11.Januar 2012

Ausgangspunkt:

Die Initiative zur Stärkung der Grund- und Bürgerrechte beschäftigt sich seit Jahren mit der Entwicklung der Polizei insbesondere im Land Brandenburg. Da wir davon ausgehen, dass eine wirksame Kontrolle durch Gerichte und Parlament nicht möglich ist, beobachten und recherchieren wir Polizeieinsätze. Die erarbeiteten Berichte veröffentlichen wir und stellen sie der offiziellen Polizeidarstellung gegenüber. Bei der Veröffentlichung legen wir nur Sachverhalte zugrunde, die durch mindestens zwei verschiedene Quellen unabhängig voneinander belegt wurden.

Recherchierter Sachverhalt:

Am 28.12. sammelten sich gegen 18 Uhr auf dem Luisenplatz Personen, die durch eine SMS und per Internet zusammengetrommelt wurden. Bereits kurz vor 18 Uhr standen an den Ecken des Platzes vier-fünf Polizeifahrzeuge. Einige Polizisten fragten Hinzukommende, ob diese zu einer Demonstration wollten und fragten, wer der Versammlungsleiter sei. Bis 18.15 Uhr waren auf dem Luisenplatz ca. 100 Personen versammelt. Letztlich verständigten sie sich darauf, einen Demonstrationszug anzumelden, um auf die Wohnraumsituation in Potsdam hinzuweisen. Der Stadtverordnete Jens Gruschka setzte sich mit der Polizei in Verbindung und meldete eine Demonstration an, die vom Luisenplatz über die Brandenburger Straße, die Fr.-Ebert-Straße und die Charlottenstraße zurück zum Luisenplatz führen sollte. Die Polizei teilte nach einiger Wartezeit mit, dass die Demo erst 19 Uhr beginnen kann, weil der Verkehr in der Charlottenstraße geregelt werden  muss und dazu der Verkehrsdienst angefordert wird. Außerdem verlangte die Polizei, dass 5 Ordner benannt werden. Etwa 18.30 Uhr teilte die Polizei dann mit, dass der Polizeiführer eine Demonstration über die Brandenburger Straße verboten hätte. Daraufhin meldete Jens Gruschka eine alternative Wegstrecke vom Luisenplatz zur Stiftstraße an. Während er auf eine Antwort der Polizei wartete, verlangte die Polizei, dass die Ordner ihre Personalien abgeben sollten. Da die schon ausgesuchten Ordnerinnen dazu nicht bereit waren, zog der Versammlungsleiter die Versammlungsanmeldung zurück .

Unmittelbar danach entfernten sich die ersten Personen Richtung Brandenburger Straße. Dort  bildete sich schnell ein Demonstrationszug. Auf dem Vorplatz des Brandenburger Tores wurde ein Silvesterknaller gezündet . Die Demonstrierenden riefen Parolen und verteilten Flugblätter an die Passantinnen. Ansonsten verlief die Demonstration völlig friedlich. Als die Demonstration in die Lindenstraße in Richtung Gutenbergstraße einbog, wurde sie erstmalig massiv von der Polizei angegriffen. Dabei gab es eine Festnahme, in deren Verlauf der sich nicht wehrende Betroffene getreten und geschlagen wurde. Anderen Demonstranten wurde währenddessen durch Wegschubsen die Möglichkeit genommen, den Namen des Festgenommen zu erfahren um einen Rechtsbeistand für diesen zu organisieren .  Dann ging die Demo weiter auf die Charlottenstraße. Auf der Ecke zur Dortustraße wurden 2-3 blaue Papiertonnen umgekippt . Eine weitere Tonne wurde von einem Polizeifahrzeug umgefahren, das mit überhöhter Geschwindigkeit über den Gehweg fuhr, um der Demonstration den Weg abzuschneiden . Polizisten stießen In der Brandenburger Straße und in der Dortustraße mehrfach Personen, die die Demonstration verlassen wollten oder diese nur beobachteten, in den Demozug . In der Dortustraße stoppte eine Polizeikette den Demonstrationszug, drängte ihn auf den Gehweg und kesselte ihn auf der Ecke Spornstraße ein.

Trotz mehrfacher Nachfragen wurde keine Auskunft über die beabsichtigten polizeilichen Maßnahmen erteilt.  Die Anmeldung einer neuen Demonstration aus dem Polizeikessel heraus wurde entgegengenommen und per Funk an den Einsatzleiter weitergegeben. Herr Neuendorf erschien allerdings erst 30-40 Minuten später vor Ort.  Er gab dem Demonstrationsanmelder bekannt, dass die Personalien des ganzen Zuges aufgenommen werden. Inzwischen waren auch die Rechtsanwälte Isensee und Drescher gekommen, die erhebliche Bedenken gegen eine solche Maßnahme äußerten. Herr Isensee wies darauf hin, dass einer seiner Mandanten von einem Beamten erst in den Kessel hineingeschoben wurde und forderte Herrn Neuendorf auf, den wenige Meter entfernten Polizisten danach zu befragen. Dies lehnte der Einsatzleiter aber ebenso ab, wie die Mitteilung des Namens des Beamten .

Während der Einkesselung kam es zu beleidigenden Äußerungen und Drohungen von Polizisten. So sagte ein Beamter zu einem jungen Mann „Rück mir nicht auf die Pelle, ich bin doch nicht schwul.“  Ein anderer sagte: „Wir können hier auch Russland spielen“.

Auf der anderen Straßenseite gab es eine sehr rüde Festnahme. Bis zu vier mit Hasskappen vermummte Polizisten drückten einen jungen Mann mit dem Gesicht auf die Erde, rammten ihm das Knie in den Rücken, würgten ihn und zerrten ihn in ein nahestehendes Polizeifahrzeug. Dabei fassten sie ihm ins Gesicht.

Wenig später erfolgte eine kaum hörbare Lautsprecherdurchsage aus einem Streifenwagen. Die Polizei informierte, dass alle ihre Personalien abgeben sollten. Über den Grund, die Rechtsgrundlage und mögliche Widerspruchsmöglichkeiten wurden keine Angaben gemacht.

Trotz der Proteste der Rechtsanwälte und Anwesenden wurden die eingekesselten Personen einzeln durch die Polizeikette geführt. Sie wurden aufgefordert, Namen und Adresse zu sagen und ihre Ausweise hochzuhalten. Dabei wurden sie mit der Videokamera aufgezeichnet. Einigen, aber nicht allen, wurde mitgeteilt, dass ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird. Dabei variierten die genannten Tatbestände zwischen Landfriedensbruch und Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Widersprüche, die von vielen Betroffenen noch vor Ort gegen die Maßnahme eingelegt wurden, wurden in keinem Fall von den Beamten schriftlich festgehalten .
Auch während der ED-Behandlung kam es zu abfälligen und sexistischen Äußerungen einzelner Polizisten. Eine junge Frau wurde aus einem Polizeiauto angesprochen: „Komm doch rein. Hier ist noch ein Platz frei.“  In einem anderen Fall grabschte ein Polizist einer Frau bei der Anfertigung von Videoaufnahmen an die Brust. Als diese ihn fragte, was das solle, antwortete er „Ich kann doch nicht wissen, dass Sie eine Frau sind.“ Auch hier verweigerte der Polizist die Nennung seines Namens und einer Dienstnummer mit den Worten „Sowas habe ich heut nicht.“ Zudem zog er sich eine Sturmhaube über, weil er bemerkte, dass Außenstehende ein Foto mit dem Handy von ihm machen wollten.  Ein Demonstrant, der nicht freiwillig zur Personalienfeststellung lief, wurde aus dem Kessel getragen. Dabei versuchten die Polizisten ihn mehrfach fallen zu lassen. Allerdings konnte er sich abfangen und blieb unverletzt.

Kurz vor Abschluss der Maßnahmen traf noch die 24. Berliner Einsatzhundertschaft ein, die sofort durch aggressives Auftreten auffiel und Personen, die in der Nähe standen und auf ihre Freunde warteten, ohne die Polizeimaßnahmen zu stören, in Richtung Breite Straße schubsten.
Ein Mann wurde am Kragen gepackt. Trotz Aufforderung weigerten sich diese Polizistinnen, den Dienstausweis vorzuzeigen. Als ein Mann sie darauf hinwies, dass sie laut Polizeigesetz verpflichtet sind, sich auszuweisen und sogar die Passage aus dem Polizeigesetz vorlas, sagte ein Beamter „Das einzige, was ich muss, ist kacken gehen.“, ein anderer meinte: „Ich repräsentiere den Staat. Ich muss gar nichts.“, ein dritter Polizist meinte, dass das Tragen einer Uniform „Ausweis genug“ sei. Ein junger Mann, der vor der Polizei rauchte, wurde kurzzeitig in Gewahrsam genommen. Sein Tabak wurde ausgekippt. Dies begründete die Polizei damit, dass er minderjährig sein könnte.

Während der Abfertigung der Eingekesselten versuchte ein Außenstehender, eine Kundgebung gegen Polizeigewalt anzumelden. Er wurde aufgefordert, die Namen von Ordnerinnen anzugeben und gefragt, ob er schon Erfahrung mit der Anmeldung von Demos habe. Schließlich zog er den vor Ort anwesenden Rechtsanwalt Dr. Drescher hinzu. Der Einsatzleiter Herr Neuendorf, der zwischenzeitlich wieder einmal in die nahe Wache gefahren war, teilte ihm telefonisch mit, dass er ein anderes „globaleres Motto“ wählen müsste, weil das Vorgehen vor Ort „schließlich keine Polizeigewalt ist“. Als der Anmelder äußerte, dass er dies anders sieht, wurde zuerst die Anmeldung untersagt und dann ein Verbot ausgesprochen.

Nachdem alle Personalien aufgenommen waren, wurden einigen Personen Platzverweise von dem Ort erteilt, an dem sie soeben noch gewaltsam festgehalten wurden.

Der Einsatzleiter Neuendorf sprach nach Abschluss des Polizeieinsatzes einen Mitarbeiter der Stadtfraktion Die Andere an. Er räumte ein, dass der Einsatz „dumm gelaufen“ sei und dass beim nächsten Mal vorher miteinander geredet werden sollte. Nach seiner Ansicht hätte die Anmeldung der Demonstration durch Herrn Gruschka nicht an der Auflage, die Ordnerdaten anzugeben, scheitern müssen. Offenbar hatten ihn die Beamten vor Ort gar nicht darüber informiert.

Fazit:

Die gesamte Einsatzstrategie der Polizei war repressiv ausgelegt und auf die Unterbindung einer kritischen Demonstration ausgerichtet. Das verstößt nicht nur gegen die Verpflichtung der Polizei zu demonstrationsfreundlichem Verhalten und Kooperation mit dem Versammlungsleiter, sondern erwies sich auch aus polizeitaktischer Hinsicht als vollkommen verfehlt. Aus Sicht der Polizeikontrollstelle hätte die Polizei mit dem Anmelder ohne weiteres eine Verständigung über Route und Ablauf der Demonstration herbeiführen können. Dieses Versäumnis beruht offensichtlich auch auf Kommunikationsproblemen zwischen Einsatzleitung und Polizei vor Ort. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, warum sich der Einsatzleiter nicht unmittelbar am Ort des Geschehens aufhielt.

Die Polizeimaßnahmen waren ganz offensichtlich von Anfang an rechtswidrig. Offenbar verkennt die Polizeiführung den Stellenwert des Grundrechtes auf Versammlungsfreiheit in eklatanter Weise.

Es nicht erkennbar, welchen legitimen Zweck die Polizei mit den Auflagen gegen die durch den Stadtverordneten Jens Gruschka angemeldete Demonstration (Wartezeit, Personalienerfassung der Ordner) verfolgte.
Da mehr als 50 Polizisten in mehreren Polizeifahrzeugen vor Ort waren, wäre eine Regelung des Verkehrs in der Charlottenstraße problemlos möglich gewesen.
Die Initiative zur Stärung der Grund- und Bürgerrechte gegenüber der Polizei bezweifelt bereits, dass die Polizei bei einer Spontanversammlung überhaupt die Auflage zur Benennung von Ordnerinnen erteilen darf. Eine Erfassung der Personaldaten der eingesetzten Ordner war weder erforderlich noch rechtmäßig. Das Versammlungsgesetz bestimmt den Versammlungsleiter als den juristisch Verantwortlichen. Die Auswahl der Ordnerinnen obliegt ausdrücklich ihm. Einschränkend ist im Versammlungsgesetz lediglich festgelegt, dass die Ordner volljährig sein müssen. Demzufolge darf die Polizei allenfalls Personalien der Ordner kontrollieren, wenn Zweifel an deren Volljährigkeit bestehen. Dieser fall liegt schon deshalb nicht vor, weil die Polizei die Auflage bereits erteilte, bevor die Ordner überhaupt bestimmt waren.

Auch das Verbot der angemeldeten Demonstrationsroute ist offensichtlich rechtswidrig. Die Auswahl der Wegstrecke gehört zum Kernbereich des Demonstrationsrechtes. Auf der Route waren besondere Hindernisse nicht zu befürchten und der Aufwand für die Verkehrsregelung war gering. Eine Gefahrenlage, die ein Verbot hätte rechtfertigen können, lag nicht vor. Erst am Vortag wurde ein Haus in der Stiftstraße 5 polizeilich geräumt. Die Räumung wurde durch Polizei, Presse und Stadtverwaltung übereinstimmend als friedlich bezeichnet. Es lagen überhaupt keine Anhaltspunkte vor, dass eine Demonstration aus dem gleichen Personenkreis derart eskalieren könnte, dass die angemeldete Wegstrecke verboten werden musste.

Ein schwerer Grundrechtseingriff ist die Einkesselung des gesamten Demonstrationszuges in der Dortustraße und die Kompletterfassung der Personaldaten aller Demonstrierenden. Auch hier ist keine Rechtsgrundlage ersichtlich. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Polizei tatsächlich Anhaltspunkte für Landfriedensbruch sieht und strafrechtlich ahnden will, müssen zur Strafverfolgung einzelnen Personen konkrete Tatbeiträge zuzuordnen sein, nachdem die Polizei selbst Unbeteiligte in den Kessel hineindrängte. Eine pauschale Erfassung aller Demonstranten ist vor diesem Hintergrund rechtswidrig. Fraglich ist auch, ob die Polizei die Versammlung überhaupt rechtswirksam aufgelöst hatte. Eine Auflösungsverfügung ist offensichtlich nicht erlassen worden.

Bei der Durchführung der einzelnen Maßnahmen versäumten Polizeibeamte fast durchgängig wesentliche Formalitäten. Wir empfehlen dringend, die Polizisten darüber zu belehren, dass polizeiliche Maßnahmen und deren Durchsetzung mit körperlichem Zwang zuvor unter Angabe der Rechtsgrundlage angekündigt werden müssen und dass auf Verlangen der von der Maßnahme Betroffenen der Dienstausweis vorzuzeigen ist. Außerdem sollten Maßnahmen ergriffen werden, um die Polizisten auch in geschlossenen Einsätzen zu einem angemessenen, respektvollen und diskriminierungsfreien Verhalten gegenüber Demonstranten zu veranlassen.

Völlig unakzeptabel ist es, dass Dienstvorgesetzte derartige Pflichtverletzungen decken und die Anonymität der betroffenen Polizisten rechtswidrig absichern. Damit wird die Einlegung von Dienstaufsichtsbeschwerden oder die Erstattung von Strafanzeigen gegen konkrete Polizisten verhindert. Zur Aufklärung von Polizeiübergriffen ist dringend erforderlich, dass die einzelnen Beamten auch in geschlossenen Einsätzen eine Dienstnummer oder einen (Alias-) Namen tragen.

Potsdam, 10.01.2012

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