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Sondervotum Potsdam

Von Redaktion | 12.September 2010

Juryvotum Potsdam 28.08.2010

Im Anschluss an die Auswärtsfahrt von Babelsberger Fans nach Erfurt kam es am Potsdamer Hauptbahnhof zu Vorkommnissen, die die Jury zum Anlass nimmt, ein
weiteres Votum zu erstellen.

Zugrunde gelegter Sachverhalt:

Gegen 21:20 Uhr erreichten die ca. 60 Babelsberger Fans, die zuvor das Auswärtsspiel ihrer Mannschaft in Erfurt besucht hatten, den Potsdamer Hauptbahnhof.
Der Ausstieg aus dem aus Magdeburg kommenden Regionalexpress erfolgte in zwei getrennten Gruppen, da es auf der Reise einen faninternen Konflikt gegeben
hatte.

Während knapp 50 Babelsberger bereits den Aufgang zum Mittelgang des Bahnhofsgebäudes nahmen, verblieb die andere Gruppe zunächst auf dem Bahnsteig.
Auf dem Mittelgang erwarteten eine Polizeikette sowie mehrere Hundeführer mit Hunden ohne Maulkorb die Babelsberger Fans. Diese wurden gebeten, den vorderen
Ausgang in Richtung Tramstation zu benutzen. Begründet werden konnte die Maßnahme von keinem der gefragten Beamten.
Da ein Großteil der Fans mit der S-Bahn nach Babelsberg zu fahren wünschte, wurde Kontakt zum örtlichen Einsatzleiter gesucht. Dieser sicherte nach minutenlanger Diskussion dem Fanbetreuer zu, dass denjenigen Fans, die mit der S-Bahn nach Babelsberg fahren wollten, der Durchgang durch die Polizeikette ermöglicht werden würde.
Daraufhin wurden einzelne Fans durch die Polizeikette gelassen. Nachdem ca. 6-7 Fans der Weg auf die gewünschte Seite ermöglicht worden war, schloss sich die
Kette wieder und weitere Fans wurden zunächst nicht mehr durchgelassen. Es kam zu einer kurzen Schubserei, in deren Folge die eingesetzten Beamten unmittelbaren Zwang ausübten. Zwei Fans wurden zu Boden gerissen und fixiert. Ein weiterer Fan, der vor der Polizeikette stand, wurde von einem Polizeibeamten überrannt, so dass er über einen metallenen Mülleimer flog. Gegen Fans, die bereits hinter der Polizeikette standen und ihren Unmut verbal äußerten, wurden ebenso Pfefferspray eingesetzt wie gegen unbeteiligte Passanten. Einem Fan, der die Brille eines Freundes aufheben wollte, wurde die Spraydose mit Pfefferspray unmittelbar vor das Gesicht gehalten. Schließlich trieb eine hinzukommende Polizeieinheit die immer noch verbal protestierenden Fans hinter der Kette über eine Strecke von ca. 200-300 m aus dem Bahnhof bis über die Babelsberger Straße hinaus. Der Einsatzleiter äußerte sich derweil gegenüber den ebenfalls verbal protestierenden Babelsberger Fans vor der Polizeikette mit Sätzen wie „Wenn Sie jetzt nicht aufhören zu provozieren, dann kommen Sie alle in Gewahrsam, dann verbringen Sie alle die Nacht in der Zelle!“ und – nachdem ein Babelsberger Fan
sich über die fehlenden Maulkörbe der Polizeihunde beschwert hatte – : „Sie hören gefälligst auf, unsere Polizeihunde zu beleidigen!“ Während die polizeilichen Maßnahmen gegenüber den 3 festgesetzten Babelsberger Fans weiterliefen, wurden die Fans aufgefordert, nun rasch zum S-Bahn-Gleis zu gehen, um die wenige Minuten später abfahrende S-Bahn Richtung Babelsberg zu erreichen. Dem Hinweis des Fanbetreuers, dass die Fans gerne auf ihre festgehaltenen Freunde warten wollten, wurde von Seiten des Einsatzleiters begegnet, dass „diese Fans dann halt die ganze Nacht in Gewahrsam bleiben und die anderen alle einen Platzverweis erhalten“ würden. Bei Nichtbeachtung eines Platzverweises drohe auch den anderen „eine Nacht in der Zelle“. Da die polizeilichen Maßnahmen unmittelbar nach diesen Äußerungen jedoch beendet wurden, konnte die Gruppe schließlich gemeinsam nach Babelsberg fahren – mit der S-Bahn.

Wertung:

Insgesamt kann die Jury zwischen Null (beanstandungsfrei) bis 100 Punkte vergeben. In Städten, die mindestens 50 Punkte (Qualifikationswert) erhalten, besteht grundsätzlich Bedarf an einer weihnachtlichen Fandemonstration.

Nach umfassender Würdigung der Gesamtumstände erhält die Stadt Potsdam

77 Punkte.

Gründe:

Für die Jury bestand in diesem Fall das Problem, dass das dem Votum zugrunde liegende Cluster an Bewertungsparametern in diesem Fall nur bedingt anwendbar war, da ja nur ein kleiner Teil des Gesamtaspektes “Auswärtsfahrt” zu bewerten war. Unzweifelhaft war aber das Agieren der in Potsdam eingesetzten Beamten schwerlich dem Bereich “Auswärtsspiel Erfurt” bzw. der dortigen Polizei zuzurechnen. Genauso unzweifelhaft war aber auch, dass die Polizei in Potsdam für ihren Einsatz eine Bewertung “verdient” hat. So wurde anhand der auch für diesen Fall anwendbaren Parameter eine Gesamtbewertung des Potsdamer Einsatzes erstellt, die diesen aus Sicht der Jury differenziert erfasst. Die Schaffung einer zur Herstellung der Vergleichbarkeit anwendbaren Bewertungsgrundlage hat auch zur Verzögerung bei der Erstellung der Wertung geführt.

Der Polizeieinsatz am Potsdamer Hauptbahnhof war aus Sicht der Jury unbegründet, schlecht kommuniziert und durchgeführt und verstieß in weiten Teilen gegen rechtsstaatliche Grundsätze: Mindestens war er  unverhältnismäßig.

Die polizeiliche Maßnahme wurde von den eingesetzten Beamten nicht begründet, obwohl dies gesetzlich vorgeschrieben ist. Das Auftreten der Polizisten war aggressiv; u.a. ist davon auszugehen, dass der Einsatz von Polizeihunden ohne Maulkorb in höchstem Maße eskalierend ist.
Auch der Leiter der Polizeikette konnte den Grund der Maßnahmen nicht erklären, er fiel vielmehr durch einen “Kasernenton” und den Aufbau von Drohkulissen auf, die teilweise mit Maßnahmen operierten, für die erkennbar jede Rechtsgrundlage fehlte und die daher selbst an der Grenze zum Straftatbestand der Nötigung lagen. Argumenten öffnete er sich sehr zögerlich, erst den Fanbetreuern gelang es in der Kommunikation mit ihm einen Kompromiss auszuhandeln. Warum die Polizei nach dem zwischenzeitlichen Öffnen der Kette diese wieder schloss, ist nach wie vor unklar. Einzelne der eingesetzten Beamten reagierten auf die nun entstehende unübersichtliche Reaktion äußerst gereizt. Der Einsatz von Pfefferspray – auch gegen gänzlich Unbeteiligte; noch 20 Minuten nach den Vorkommnissen litten Passanten, Polizeikräfte und Fans an Hustenanfällen – war ebenso unangemessen wie die einfache körperliche Gewalt, die gegenüber einzelnen Fans angewandt wurde. Das Hinaustreiben der lediglich verbal protestierenden Fans aus dem Bahnhof war auch unter dem Aspekt, dass Unbeteiligte gefährdet wurden, gänzlich unverhältnismäßig und erfolgte ohne jede Ankündigung der Maßnahme.

Da weder die formellen, noch die inhaltlichen Voraussetzungen vorlagen, ist dieser Teil des Polizeieinsatzes in derart eklatenter Weise offensichtlich rechtswidrig, dass die Jury der fachlich und dienstlich vorgesetzten Behörde ausdrücklich die Prüfung rechtlicher Schritte empfiehlt.

Positiv kann der eingesetzten Polizei lediglich zu Gute gehalten werden, dass niemand ernsthaft verletzt wurde.

Gesamttabelle “Polizei im bundesweiten Wettbewerb”

Qualifikationswert erreicht

Potsdam                                                                  77 Punkte (außer Konkurrenz)

Wiesbaden                                                               68 Punkte

Erfurt                                                                       57 Punkte

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Qualifikationswert verfehlt

Ahlen                                                                        27 Punkte

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