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Wiesbaden nimmt Qualifikationshürde

Von Redaktion | 3.August 2010

Nach dem Start des Projektes “Polizei im bundesweiten Wettbewerb: Wo demonstrieren Babelsberger Fußballfans am Heiligabend 2010?” liegt die erste Wertung der Jury vor.  Auf Anhieb gelang der Stadt Wiesbaden der Sprung über die magische 50-Punkte-Grenze. Ausschlaggebend war ein durch die Jury als ” in weiten Teilen rechtswidrig” eingeschätzter Polizeieinsatz gegen einen Babelsberger Fanbus. Die Polizeikontrollstelle wird laufend über die Aktion berichten und die Juryvoten veröffentlichen.

Juryvotum Wiesbaden 01.08.2010:

Zugrunde gelegter Sachverhalt:

Am 1.8.2010 machten sich ca. 50 Babelsberger Fans bereits gegen 5 Uhr mit einem Sonderbus auf den Weg zum Spiel der 3. Liga in Wiesbaden.
Die Fahrt verlief reibungslos.

Gegen 11 Uhr wurde der im Bus mitfahrende Fanbetreuer informiert, dass die Polizei den Bus an der Auffahrt Mainzer Straße in Wiesbaden erwartet und zum Stadion begleiten wird. Der Bus kam gegen 13 Uhr an der Brita-Arena in Wiesbaden an.

Dort wurde er von einem erstaunlich großen Polizeiaufgebot empfangen.
Insgesamt wurden mehr als 20 Polizeifahrzeuge und ca. 100 Polizeibedienstete allein am Gästeeingang gezählt. Zunächst wurde der Babelsberger Fanbus umstellt und von mehreren Kameras ins Visier genommen. Die beteiligten PolizistInnen trugen Einsatzkleidung bis hin zu Handschuhen und wirkten einschüchternd und martialisch. Dem nachfragenden Fanbetreuer wurde mitgeteilt, dass die Autobahnpolizei aus Jena auf einem Autobahnparkplatz in Thüringen eine Schmiererei und mehrere Aufkleber des SV Babelsberg 03 entdeckt hätte. Aus diesem Grunde sollten nun per länderübergreifender Amtshilfe für die thüringische Polizei durch die hessische Polizei die Personalien sämtlicher BusinsassInnen festgestellt werden, weil diese als Zeugen in Betracht kämen. Dennoch wurden noch 10-15 Minuten lang Fans daran gehindert, den Bus zu verlassen, obwohl diese bereits den Ausweis in der Hand hielten. Keiner der eingesetzten Polizeibeamten zeigte seinen Dienstausweis, obwohl mehrere Fans verschiedene Polizisten in sachlicher Weise dazu aufforderten und der Einsatz in keiner Weise dadurch verzögert oder behindert worden wäre. Der Einsatzleiter behauptete auf ausdrückliche Nachfrage, dass es in Hessen ausreicht, wenn Polizisten eine Uniform tragen und dass keine Verpflichtung besteht, einen Ausweis zu zeigen. Erst auf mehrfache Nachfrage, ob es im hessischen Polizeigesetz eine Norm zur Ausweispflicht gibt, bejahte er dies, lehnte aber ab, ein Vorzeigen der Dienstausweise zu veranlassen. Nach und nach stiegen nun alle Fans aus dem Bus.

Die Abfertigung durch die Polizei und später am Einlass durch die Ordner
erfolgte sehr schleppend, so dass trotz der frühen Ankunft nicht einmal alle Fans pünktlich zum Anpfiff ins Stadion gelangten.

Als alle Fans den Bus verlassen hatten, betraten mehrere Polizisten mit einer Videokamera den Bus. Ein Fan wandte sich daraufhin an die Beamten und sagte, dass er bei einer Durchsuchung seiner Sachen persönlich anwesend sein möchte und darauf einen Rechtsanspruch habe. Die Polizisten antworteten, dass sie nur kurz prüfen wollen, ob sich keine Personen mehr im Bus befinden. Als der Fan sich aber Richtung Stadion entfernte, betrat die Polizei wieder den Bus und durchsuchte sämtliche Taschen und Rucksäcke. Dies war keinem der Betroffenen zuvor angekündigt worden. Bei der Durchsuchung waren der Fanbetreuer und zwei Fans auf eigenen Wunsch hin anwesend. Ein schwarzer Stift wurde beschlagnahmt. Der Eigentümer erhielt nicht einmal ein Beschlagnahmeprotokoll. Dies wurde erst auf mehrfache Aufforderung nach dem Spiel ausgefertigt.

Die am Einlass eingesetzten OrdnerInnen agierten sehr gründlich und korrekt, fanden aber nicht immer das richtige Maß und wirkten beim Auftreten besonderer Probleme überfordert. Bei Frauen wurde teilweise der BH abgetastet. Einer hochschwangeren Frau wurde zunächst die Mitnahme ihres Mutterpasses verwehrt. Erst nach langer Diskussion durfte sie diesen schließlich mit ins Stadion nehmen. Bei der Kontrolle der Transparente zog der Ordnungsdienst die Polizei zu Rate, was zu vermeidbaren Verzögerungen führte. Während des Spieles verhielt sich der Ordnungsdienst weitgehend zurückhaltend und angemessen. Es gab auch keinerlei Anlass zum Eingreifen.

Des weiteren fiel auf, dass der Zaun um den gesamten Gästebereich mit Spitzen versehen war, die das Übersteigen des Zauns erschweren sollten. Warum derartige bauliche Sicherheitsvorkehrungen in Wiesbaden nur für Gästefans eingerichtet wurden, ist kaum nachvollziehbar – zumal in der Gästekurve regelmäßig deutlich weniger Personen stehen, als im Heimbereich.

Die Rückfahrt des Fanbusses und der PkW-Fahrer erfolgte ohne weitere
Zwischenfälle.

Wertung:

Insgesamt kann die Jury zwischen Null (beanstandungsfrei) bis 100 Punkte
vergeben. In Städten, die mindestens 50 Punkte (Qualifikationswert) erhalten, besteht grundsätzlich Bedarf an einer weihnachtlichen Fandemonstration.

Nach umfassender Würdigung der Gesamtumstände erhält die Stadt Wiesbaden

68 Punkte.

Gründe:

Die Jury geht davon aus, dass Fans, die in der 3. Liga oft eine weite Reise auf sich nehmen, um ihre Mannschaft auswärts zu unterstützen, einen Anspruch haben, möglichst wenig von Polizei und Ordnungsdienst behelligt zu werden.

Diesem deeskalierenden Anspruch ist der Ordnungsdienst mit einigen Abstrichen gerade noch gerecht geworden. Wir empfehlen allerdings dringend, das Personal am Einlass sozial zu sensibilisieren und dessen Kompetenz für abweichende Einzelentscheidungen zu verbessern.

Hingegen ist die Polizei deutlich über das Ziel hinausgeschossen. Wir
empfehlen der Polizeiführung, bereits bei der Auswahl der eingesetzten
Beamten stärker auf Kommunikation als auf Einschüchterung zu setzen. Auch die Zahl der eingesetzten Beamten sollte deutlich reduziert werden. Ein Vorzeigen der Dienstausweise und die bereitwillige Auskunft über Sinn und Zweck der Maßnahmen muss auch in Hessen gegenüber Fußballfans selbstverständlich werden.

Das Verhalten der Polizei ist auf den ersten Blick als in weiten Teilen
rechtswidrig erkennbar.
So sieht die Strafprozessordnung Zwangsmaßnahmen gegen ZeugInnen nur in sehr begrenztem Umfang vor. Es ist stark zu bezweifeln, dass eine Durchsuchung gegen den Willen von Betroffenen, die möglicherweise als ZeugInnen einer Sachbeschädigung im Bagatellbereich in Betracht kommen, dem Verhältnismäßigkeitsgebot genügt.
Ebenso unzulässig ist die Durchsuchung ohne Wissen und Anwesenheit der
Betroffenen. Diesen rechtswidrigen Zustand hat die Polizei sogar absichtlich herbeigeführt.
Ob das Erteilen einer unwahren Rechtsauskunft durch den Einsatzleiter selbst einen Straftatbestand erfüllt, bleibt offen. Allerdings stellt ein solches Verhalten sicher ein Dienstvergehen dar. In keinem Fall trägt es zum reibungslosen Ablauf bei, wenn der polizeiliche Dienstvorgesetzte
Pflichtverstöße von Polizisten öffentlich billigt und deckt.

Wir empfehlen dem SV Wehen-Wiesbaden außerdem eine Gleichbehandlung von Gästen und Heimfans bei der baulichen Gestaltung des Stadions.

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